Windows-Store: gutes Konzept und digitaler Unrat

Neuen Rechner einrichten. Google, such den Firefox. Ah, Treffer. Vor dem Download nur noch Namen, Adresse und Kreditkartennummer ..? Jetzt der Free-AV-Virenscanner. Download via Chip.de, die haben anscheinend für alles ’nen SEO. Der dicke Button. Startet in 30 Sekunden. Fertig. Ja, komm, installier vorher halt die Ask-Search oder Ebay-Toolbar. Wenn’s denn sein muss. Blim, das Setup von „Vladimir Sergeys verified banking tools“ braucht administrative Rechte. OK, Fertigstellen. Moment, halt, war doch das falsche Programm. Nochmal zurück und genau schauen. Richtig, neben dem 2×2-Meter Download-Knopf ist ja noch ein anderer kleiner Link und der führt dann zum nächsten Banner …

Für Otto-Normalanwender ist das Konzept eines App-Store durchaus zu begrüßen:

Wahlfreiheit

Am wichtigsten und deshalb zu Beginn: Wer den Windows 8 Store und die Metro-Apps nicht benutzen will, der lässt es eben sein. [Windows-Taste]+D und Windows 7 ist wieder da.

zentraler Ort der Anschaffung

Die Aussicht auf kostenlose Software führt uns leider zu oft in die ganz dunklen Ecken des Internet. Und manchmal war dann im youtube-mp4-downloader doch mehr drin, als die Packung auf der mittelmäßig übersetzen Website versprochen hat. Ich bin mir sicher, dass der Großteil Schadsoftware nicht aus Doppelklicks auf E-Mail-Anhänge kommt …
Im App-Store ist erstmal alles versammelt und muss sich dort – nur – gegen die Konkurrenz durchsetzen. Zur Kritik siehe unten.

zentraler Ort für Updates

Programme sind solange perfekt, wie die Zeit still steht. Während ihrer Lebensdauer tauchen Fehler auf, an die in den Tests einfach keiner gedacht hat. Oder die Programm-Umgebung ändert sich. Wie auch immer. Der Update-Mechanismus der meisten Anwendungen ist leider nicht einheitlich. Mal meldet der VLC beim Programmstart, dass es irgendwo was Neues gibt; bei Teamviewer packt der Aktualisierer einfach noch eine neue Version dazu, Google richtet stündliche Jobs in der Aufgabenplanung ein und andauernd poppt irgendeine Benachrichtigung im Infobereich der Taskleiste auf.

Android und Apple zeigen, dass das auch schöner geht. Appstore–>Updates, egal für was.Und gut.

Herkunft

Der Produzent der Software ist im Store eindeutig ersichtlich. Dafür sorgen unter anderem die Registrierung des Entwicklers und das vom Betreiber des Stores vergebene digitale Zertifikat. Haben Sie schon mal geschaut, wie viel Software auf ihrem Rechner digital signiert ist (rechte Maustaste)? Zur Verdeutlichung: Wenn ich etwas Quellcode kompiliere und das Programm dann irgendwo hochlade, ist es nicht signiert. Weil ich kein (beglaubigtes) Zertifikat einer Zertifizierungsstelle habe / mir leisten kann. Muss ich auch nicht. Aber müssen Sie meinem Programm dann trauen? Nur dann, wenn ich stattdessen wenigstens den Source offen lege. Hab ich das?

Beziehung/Kontrolle

Ich bin mir noch nicht sicher, ob das positiv oder negativ ist. Aber durch die relativ enge Beziehung von Produzent und Konsument bekommt der Entwickler auch eine ziemlich genaue Statistik über die Verbreitung seiner Software. Die Anzahl Downloads, die Anzahl Crashs. Dabei sollte es aber auch bleiben. Persönliche Daten, Pins und Tans sollten ausschließlich beim Kunden bleiben.

Absichtserklärung

Da war plötzlich unerlaubt die Webcam am Laptop eingeschaltet und hat die heimlich aufgenommenen Bilder gleich zusammen mit dem privaten Adressbuch ins soziale Netzwerk geladen. Weil man die Facebook-Anmeldedaten beim Installieren ja mit angeben musste, wegen nicht so viele Passwörter merken. Haben Sie schon mal gehört?

Appstore-Apps können sogenannte Bibliothek nutzen. Die Bibliotheken kommen vom Hersteller des jeweiligen Betriebssystems. Eine Bibliothek bietet der App bestimmte Funktionen. Die könnten Zugriff auf Dateien bieten, Routinen zur Musik- und Videowiedergabe oder die Möglichkeit, eine Datenbank abzufragen. Zum Beispiel.
Technisch könnte die App auch ihre eigenen Routinen und Bibliothek für o.g. Aufgaben mitbringen und somit direkt auf das Betriebssystem und die Hardware zugreifen. Ist aber konzeptionell nicht erlaubt. Weil’s dann erfahrungsgemäß auch mal schneller crashen kann. Oder andere „komische Sachen nebenbei“ passieren könnten.

Zumindest beim Android Marketplace und im Windows Store müssen die Entwickler der App angeben, welche Bibliotheken bzw. Funktionen Ihre App nutzen will. Und der Kunde entscheidet: Diese Foto-Galerie-App will die Crypto-Api nutzen und auch noch Internetzugriff haben? Nix da, die soll nur auf die Bilder zugreifen. Dann lieber die andere App.

Qualitätssicherung I

Absichtserklärungen sind schön und gut, aber hält sich die App auch daran? Das prüft der Store-Betreiber im sog. Review, in dem er ihr Verhalten testet (so gut es geht) und sich auch mal anschaut, ob da nicht evtl. doch auf das Dateisystem, die Registry oder das Netzwerk zugegriffen wird.

Qualitätssicherung II

Ein App sollte immer eine sinnvolle Aufgabe erfüllen. Möglichst nur eine. Gut, für viele mögen die Taschenlampen oder die Furz-Apps diese Hürde genommen haben. Naja.
Wenn die einzige Aufgabe einer App das Anzeigen des aktuellen Datums ist, dann darf der Store-Betreiber sie wg. Trivialität ablehnen. Meinen Segen hat er.

Qualitätssicherung III

Jetzt wird’s etwas schwieriger, denn die Betreiber der großen Appstore-Plattformen sitzen in den USA. Da herrscht teilweise ein etwas anderes Werteverständnis als hier auf dem Lande, was Ethik und Moral anbetrifft. Am einfachsten stelle man sich die glückliche amerikanische Familie aus der IT-Werbung vor: der glückliche Vater hat einen tollen und vor allem ehrenhaften Job, die Mutter ist glücklich im Haushalt und mit ihrer Teilzeitstelle, der ältere Sohn ist auf dem College und treibt Sport, die Jüngste ist gut in der Schule und schon so (unterhaltungs)technikaffin wie der Rest der Bande. Und alles an Apps, was diesem Lebensbild nicht entspricht (nackte Brüste bis politisch andere Meinung), könnte im Store Probleme bekommen. Wobei ich im Moment nicht sicher bin, wie sehr regionale Begebenheiten schon einfließen. (Dieser Text stammt aus Mitteleuropa).

Sicherheit

Das ist bei Windows ja immer ein Thema. Programme können in unterschiedlichen Berechtigungskontexten laufen. Die höchste Berechtigung hat dabei das System selbst, die sog. Dienste oder Daemons laufen auf dieser Ebene. Weiter oben sind die Benutzerberechtigungen. Also im Normalfall die Programme, die Sie selbst gestartet haben. Dabei macht es – noch – einen Unterschied, ob Sie zur Administrator-Gruppe gehören.
Einschub: den Microsoft seit dem ungeliebten Vista durch die UAC weitgehend entmachtet, besser: in Watte gepackt hat. Die Unix-basierten Systeme wie Linux und MacOS (X) sollten sich da auch mal ihren root anschauen. „rm –rf /“

Zurück zur Windows-App: Die läuft so wie bei Apples iOS nur mit minimalen Rechten in ihrem eigenen Container. Ein Container ist wie eine Gummizelle, wo man höchstens sich selbst weh tun kann. Leider auch mit Nachteilen einer Zelle, da die Apps nicht von vorneherein Daten untereinander austauschen können. Außer vielleicht mit Hilfe des Benutzers über die Zwischenablage.
Hier finde ich Microsofts Konzept der sog. Contracts und Notifications interessant, mit denen Apps über definierte Schnittstellen (s.o.) kommunizieren können. „Hey, ich kann Bilder verarbeiten. Bitte mal alle anderen Apps melden, die solche Bilder auf meinen xy-Account hochladen können.“ „Hoppla, ich habe eine E-Mail empfangen. Mit einem zip-Anhang. Gibt’s hier eine App, die mir diesen Anhang auspacken könnte?“ So in etwa.

Darstellung

Apple lässt sich die runden Ecken patentieren. Von mir aus. Ich fand den alten BMW sowieso schöner. Die Metro-Oberfläche vom Microsoft ist eher im Kunstunterricht einer Grundschulklasse entstanden. Dennoch hat sie Vorteile für den nutzungsorientierten Anwender. Ein Fenster. Vollbild. Stark reduzierte Funktionen. Ohne mehrere modale Dialogfenster oben drüber. Man denke an so eine Anwendung wie „Browser“. Reicht vollkommen.

HTML5

Windows-Metro-Apps sind eigentlich sowas ähnliches wie HTML-Webseiten. Sehr entfernt. Aber mit HTML5 und Javascript können Sie heute (in der Theorie) wahrscheinlich schon Atomkraftwerke steuern. Leider lassen sich HTML-Seiten ziemlich einfach bauen. Und im Anschluss mit dem entsprechenden Microsoft Toolkit auch ohne anerkannten Schulabschluss locker als App umsetzen. Und das ist aktuell das Problem.

Müllkippe

Microsoft wollte Anfang 2013 100000 Apps im Store haben. Damit die Käufer der Windows-8-Touchgeräte ein umfassendes Angebot in allen Sparten haben.

In Wirklichkeit geht’s doch nur darum: Wer hat den längsten? Wenn man mal die Kunden vorher gefragt hätte, ob sie sich wirklich nochmal die 90% Scheiße im wie Android Marketplace oder im Apple Appstore oder vielleicht doch eher die Perlen gewünscht hätten, der hätte seine eigenen Qualitätsmaßstäbe (zur Trivialität siehe oben) nicht für einen schnellen Sechser aufgegeben.
Den Löwenanteil machen leider die Ich-stelle-einfach-eine Website-dar-Apps.

Mein Liebling aus den aktuellen Top 100 ist dieser hier.
Kennen Sie irgendwo her? Klar, „Das Kurssystem der reformierten Oberstufe“, Kultusministerium NRW, ca. 1990.

Fehlt noch der Tageslichtschreiber (Pfeile und vollgeschriebener Rand)

Vielleicht vertrete ich eine Minderheitenmeinung. Mehr ist ja immer besser. Vielleicht.
Wenn’s aber so bleibt im Windows Appstore, heißt’s für mich: [Windows-Taste]+D