Fußball für die Ohren: Kommerz hilft der Nische

Die Sport-, speziell die Fußballreportage, gehört zu den faszinierendsten Radioformaten. Sie lässt mich live am Geschehen teilnehmen. Der Reporter ist direkt vor Ort, schildert das Spiel, die Taktik, das Drumherum. Über sein Mikrofon dringen Fangesänge, Durchsagen und Pfiffe vom Schiedsrichter und den Schlachtenbummlern. Das Kino im Kopf.

Die Vollübertragung im damals jungen Medium Radio gab es in Deutschland schon Ende der 1920er-Jahre, eine erste ästhetische Vollendendung in der Endspielreportage 1954 von Herbert Zimmermann im NWDR. Heute übertragen die öffentlich-rechtlichen Radioanstalten nur noch die Championsleague-Spiele bzw. die EM/WM-Vorrunden- und Finalspiele mit deutscher Beteiligung und – teilweise – den Pokal über volle 90 bzw. 120 Minuten. Nach Aufsplittung des traditionellen Fußball-Samstag-Nachmittags vor ca. 10 Jahren verloren die Öffis das damals eingeführte „Topspiel“ nach kurzer Zeit an die privaten Anbieter.

Allerdings machten 90elf.de und danach sport1.fm diese Sache wirklich gut, gerade die unprätentiöse Ausdrucksweise der Privatreporter hatte bei manchen Partien erheblich mehr Charme als die „Alle-Fans-singen-und-tanzen“-Gute-Laune-Rundumeinblendungen der ARD. Umso betrübter war ich zunächst, als sich Amazon mit der Saison 2017/18 die komplette Radiovollübertragung der Bundesliga als Zugpferd für seinen „Prime“-Dienst einverleibte. Nun bin ich zwar seit Jahren Spotify-Kunde und ein Umstieg auf Amazon Music wäre für mich ein finanziell äquivalent. Aber ich bin zufriedener Kunde. Und so dringend brauche ich Amazon in meinem Leben nun auch nicht.

Also schaut man sich mal bei der alternativen Fußballübertragung um. Die kann bsp. von unseren privaten Rundfunksendern über terrestrische Ausstrahlung bzw. Digitalradio oder Livestream im Internet erfolgen. Bei einem „normalen“ Bundesliga-Heimspiel hat der Privatsender aber nur insgesamt 20 Minuten, auf die er seine Schalten innerhalb der 90 Minuten verteilen muss. CL-Spiele oder Pokal sind – soweit ich weiß – für den Privatfunk tabu. Doch eben höre ich mit Begeisterung eine Vollreportage des hier beheimateten (Noch)erstligavereins auf Radio Köln: UEFA-Cup (heute: Europa-League) darf der nämlich komplett übertragen, wenn der „Effzeh spillt“. Und die Atmosphäre in Müngersdorf ist akustisch ziemlich bombastisch, das weiß ich auch noch ohne Radio. Außerdem zeigt sich hier, das Moderieren und Reportieren zwei ganz unterschiedliche Sachen sind: Zweiteres ist eine Kunststufe höher und der Herr am Mikro hat sie erklommen. (Ein Tipp für iPhone-Besitzer: Apple hat es mit ios11 hingekriegt, einen simplen mp3-Stream einfach nicht mehr abspielen zu können. Hat nichts mit dem Audio-Element in html5 zu tun. (Davon ist die Homepage von Radio Köln im Radio NRW-Einheitslook auch meilenweit entfernt). Abhilfe schafft nur, den VLC-Player auf dem Smartphone zu installieren und die mp3-URL dort reinzukopieren.)

Bleiben wir bei der professionellen Übertragung. Letzen Samstag habe ich mich wieder nach Alternativen umgeschaut und beim Topspiel Bayern-Leipzig zum ersten Mal in den „bullenfunk“ geschaltet. Zwar gilt meine Sympathie eher der Stadt im Osten als ihrer Mannschaft, aber diese Reportage war aller Lobpreisungen wert. Kompetent, unterhaltsam, technisch einwandfrei. Nicht zuletzt wohl, weil dort einige Protagonisten von ehemals 90elf am Werke sein dürften. Vor allem hat mich die Neutralität der Sprecher mit unverkennbar ostdeutschem Zungenschlag beeindruckt. Bespiel: In der 13. Minuten begeht Abwehrchef Orban ein Foul an Robben. Scheint, so höre ich, nichts Wildes gewesen zu sein. Der Niederländer steht schnell wieder, kein langes Pfeifkonzert aus der Südkurve in der Allianz-Arena.
Trotzdem geht das Spiel nicht weiter. Meine Reporter sind nervös, Orban war wohl letzer Mann. Schiedsrichter Siebert tendiert zur Notbremse, geht dann aber vom Feld, fordert den Videobeweis, wohl um dem Deliquenten noch eine letzte Chance zu geben. Die Reporter spüren: Der Schiri will den Orban nicht runterstellen. Der will den Fans, den Zuschauern, uns Zuhören, vor allem den Spielern das Match nicht kaputt machen. Die Reporter schildern jetzt in kurzen Sätzen. Ahnen, was da kommt. Orban war letzter Mann. Vereitelung einer klaren Torchance. „Bitte nicht!“ Schiri Siebert geht aufs Feld zurück, schnellen Schrittes. Er hat seine Entscheidung getroffen „Bitte, gib ihm nur Gelb!“, fleht der Reporter, schildert für den Zuhörer aber gefasst weiter: „Siebert geht jetzt zum Willi, streicht ihm übers Haar, und … Gesäßtasche. Rot!“ Dann sagt er lange nichts. Nur ein paar Bayern-Fans johlen und klatschen im Hintergrund. Der zweite Reporter bricht das Schweigen am Mikrofon, um dem Hörer zu signalisieren, dass hier keine Tonstörung vorliegt, wenn mal keiner brabbelt. „Wenn’s auf der anderen Seite passiert wäre, hätten wir auch die Rote Karte gegen die Münchener gefordert.“
Wahnsinn!, denke ich.Ich schätze an der privaten Fußballübertragung, sagen wir ruhig: am Vereinsradio, ja irgendwie schon, dass die Kommentatoren bis zum Scheitel parteiisch sind. Das beste Beispiel ist das BVB-Netradio, wo Nobbi Dickel und Moritz Cassalette stets mit „Freistoß für uns! Das muss Freistoß geben! Schwalbe von xy gegen Sokratis, der Papa würde nie foulen usw.“ semi-objektiv berichten. Aber dem Bullenfunk, von wo auch immer der (außerhalb des Stadions) berichtet, zollen sogar die gegnerischen Fans in den Kommentaren unter dem Stream ihren Respekt.

Mittlerweile bin ich nicht mehr betrübt, dass sich die ganzen großen Haie auf den Fußball stürzen und ihn bis zum Ende medial und finanziell ausschlachten. Es ist die Frage, ob wir ihnen ins Netz gehen und vor ihnen davon schwimmen. Denn man selbst muss ja nicht alles mitmachen. Eigentlich bin ich sogar dankbar, mal wieder was Neues entdeckt zu haben. Denn es wird noch viele weitere Streams da draußen abseits des Mainstream geben.
Komisch, da fällt mir gerade ein, dass ich vor Jahren mal die Eishockey-Reportagen von irgendso einem Typen bei Heimspielen seines Vereins auf 1000mikes.com gehört habe. Dabei interessiere ich mich gar nicht für diesen Sport, war auch nur einmal auf Einladung bei den Kölner Haien. Die Reportage hatte zudem eine saumäßige Qualität, aber der Typ konnte wunderbar schildern, ein echtes Radiotalent. Werde mich in Zukunft weiter auf die Suche nach solchen „Reportern“ machen. Und KEIN Amazon-Abo für die Bundesliga im Radio abschließen.

Ach ja: Der FC hat in einer furiosen Aufholjagd das Spiel gegen Bate Borissow nach 1:2 zur Halbzeit mit 5:2 gewonnen. Zumindest ein RadioKöln-Reporter dürfte jetzt ziemlich begeistert sein. Und mächtig heiser.

Links:

Spielübertragungen Leipzig

Das ehrwürdige BVB-Net-Radio

Stream Radio Köln bei FC-Heimspielen (leider selten international)