Frohes Fest! Unser aller „Zeitzeichen“ gehört zweifellos zu den besten Radioformaten Deutschlands. In der heutigen Weihnachtsfolge erinnert uns der WDR an die erste von vier Weihnachtsringsendungen vor 75 Jahren. Eine frühe Form der Konferenzschaltung zu Kriegszeiten. http://www.wdr5.de/sendungen/zeitzeichen/weihnachtsringsendung-rundfunk-104.html
Ein medial omnipräsenter, aber in diesem Beitrag hervorragend aufgelegter Sönke Neitzel rückt als Experte die einzelnen Tonausschnitte der Ringsendung gekonnt in den geschichtlichen Kontext. Im Gegensatz dazu führen die beiden WDR-Sprecher eine Art journalistisches Kollegengespräch, in dem sie die Regieanweisungen der damaligen Progagandaführung fast schon nervtötend überironisieren. Man hat ja einen Bildungsauftrag, und wenn was aus dem Jahrgang 1933-1945 auf die Ohren kommt, muss man natürlich den mahnenden Zeigefinger mit reinbohren. Hätte es aber nicht gebraucht, weil Prof. Neitzel zum Schluss selbst die Gefahr der Medienbeeinflussung sehr plakativ darstellt. Vielleicht wären Zeitzeugen oder O-Töne aus der Konserve die bessere Variante gewesen. Oder ein einordnendes Wort zur damaligen Alleinstellung des Front und Heimat verbindenden Mediums Radios. Klammern wir die Feldpost als stark asynchrones Element einmal aus, das zwar persönlichste Worte, diese aber nicht in Form der vertrauten menschlichen Stimme transportieren kann.
Doch war die erste Weihnachtsringsendung, wirklich nur ein Zusammenkleben von vorproduziertem Weihnachtskitsch? Nicht ganz. Die Sendung hat zwar, auch Wikipedia wird nicht müde, das zu betonen, einen deutlichen Propaganda-Auftrag (Verbundenheit, Wir sind eine Familie, Großdeutschland wacht über euch usw.), ist aber bis auf den im r-rollenden Sprachduktus seinem Führer sehr zugewandten Moderator (wird zum Glück nur am Anfang und am Ende der Sendung ans Mikrofon gelassen) ein großartiges Tondokument deutscher Radiogeschichte.
Weil man zwischen den ganzen Fernschreiber-Texten, die einfache Soldaten auf Zuruf möglichst frei vortragen sollen, nicht nur im jeweiligen Dialekt des Einzelnen wunderbar authentische Elemente findet. Hier spricht, zumindest in den nicht abgelesenen Passagen, ein einfacher Jedermann. Von zuhause oder aus dem Feld. Der keine politische Botschaft hat, der nicht monologisiert, schwadroniert, der den anderen nicht von irgendeiner Sache überzeugen will. Natürlich sind die Texte in ihrer Grundform zenziert: Selbst das kleine „Goldkind Bärbelchen“, das ans Mikrofon gehoben werden muss, darf den Papi nicht fragen, wann er endlich wieder nach Hause kommt.
Aber achte man einmal auf den Sprecher vom Feldberg aus dem Schwarzwald zwischen Minute 16 und 18. Das ist schlicht die perfekte Reportage. Das jeweils einleitende „Achtung! Achtung! Wir rufen … / Hier spricht“ ist kein militärisches, sondern typisches Radioelement der Zeit. Der Rundfunk im Voxhaus 1923 begann ebenso. Auch sonst weicht die Weihnachtssendung trotz völkisch-territorial orientierten Passagen und einem, am Sprachstil der Wochenschau orientierten Reporter, im Großen und Ganzen wohltuend vom üblichen Gebell aus der Göbbelsschnauze ab, vor allem durch die Interaktion der Sprecher, durch Ortwechsel und sogar Interviewelemente, was teilweise schon an ein Hörspiel erinnert. Auf der anderen Seite schwappt sie nicht so weichgespült wie das Wunschkonzert aus dem Äther.
Ach, wo gerade die Musik spielt: Die Weihnachtslieder zwischen den Schaltungen werden in ihrer ursprünglichen Form, d.h. mit Originaltext übertragen! Unter allem Rauschen noch gut zu hören in „Es ist ein Ros entsprungen … aus Jesse (alttestamentarischer König David) kam die Art“. Oder, Minute 55, ein „der Engel Halleluja“ in Stille Nacht, selbst in der Schlussfassung der Ringsendung 1942 trotz Umdichtung und Verbot noch so vorgetragen. Die Nazis hatten es anscheinend nicht geschafft, eines der innigsten christlichen Fest umzudeuten. Oder sagte man wirklich „Lichterbäume“, zu deren Entzüdung Herr Plücker am Ende aufruft? Wenigstens versuchten die Macher, das als O-Ton eingesetzte Glockengeläut (ruft selbiges nicht bekanntermaßen zur christlichen Messe?) nur aus Garnisionskirchen oder neutralen Türmen erschallen zu lassen.
Ein letzter Aspekt, im Beitrag des WDR auch nicht erwähnt, wäre die gerade zu Beginn der Sendung fast schon inflationäre Heimatmetapher. Die Soldaten sollten kämpfen, nicht in die Heimat zurück wollen. Vielleicht zu diesem frühen Kriegszeitpunkt noch nicht so streng gehandhabt? Aber müsste sich ein wegen Wehrkraftzersetzung verbotener Willi Ostermann „… möcht ich direkt op Heim anschwenke…“ bei den ersten Liedern der Ringsendung nicht im Grabe umdrehen?
Ob sie nun vollständig live war, oder ob die Kurzwellenbeiträge vom Zerstörer oder aus dem Flugzeug vorproduziert über Schallplatte eingespielt wurden: Authentisch war die Sendung im Gegensatz zur Ringsendung von 1942 schon (auch Neitzel ist davon überzeugt.) Technisch ließ sich sowas ohne weiteres machen, wie die Übertragung der Olympischen Spiele 1936 gezeigt hatte. Und was Feldpostbriefe aus dem deutschen Tagebucharchiv zeigen: Schon zur ersten Kriegsweihnacht 1914 verband man per telefonischer Fernschaltung Unterstände und Schützengräben zum gemeinsamen Singen von „Stille Nacht, Heilige Nacht“.
Uns ist mit der Weihnachtsringsendung 1940 eine für die damalige Zeit qualitativ sehr gute Aufnahme erhalten. Mit Vorsicht zu genießen, gerade auf vollen Magen. Mit kleinen technischen Fehlern, aber einem interessanten akustischen Verortungsmittel. Vor 75 Jahren in Deutschland über die Mittelwelle zu empfangen, die in 7 Tagen, am 31.12.2015 endgültig aus diesem Land scheidet. Die erste Ringsendung steht für aufgeklärte Hörern im Internet aber noch länger online. https://www.youtube.com/watch?v=Ed_CMdwyo2o
„Ich bin das Radio. Die Stimme. Ein Schöpfung aus Holz, Stahl, Funkwellen, Röhren, Fleisch und Blut. Von morgens bis abends spreche ich zu dir mit Musik, Geräuschen und Stimmen. Ich komme mit dem Wind, bin Begleiter von Sonne und Gewitter … Ich spreche mit vielen Stimmen.“
Orson Welles