Datenrettung

Er ist ihr mal wieder zu langsam. Bis der faule Sack sich endlich hochquält. Und dann die ganze Unordnung auf dem Schreibtisch, das liebt sie ja besonders. Aus dem Papierkorb klettert schon der Müll, das fängt doch an zu stinken. „Mann, mach das Fenster auf! Ich hab’s dir jetzt schon dreimal gesagt! Jetzt ist Schluss mit lustig!“. Sie hebt hebt die Arme, ballt die Fäuste, und dann…

Häusliche Gewalt gegen Computer wird zu einem immer ernsteren Thema. Woran liegt das? Geben wir zu vielen lustigen Icons einen lauschigen Platz in unserer Infoleiste? Buhlen zu viele Sykpes, Instant Messenger oder Browserfenster um unsere Aufmerksamkeit? Die Schere zwischen geduldigem Betriebssystem und ungeduldigem Anwender klafft immer weiter auseinander.

Gewalt gegen Maschinen gibt es nicht erst seit Apples Werbespot 1983, und sie ist auch heute auf das Schärfste zu verurteilen. Zumal Computer nicht wie früher aus gepanzertem Metall geschützt unter der Schreibtischplatte Lärm machen, wo man sich irgendwas zwischen Zeh und Zehennagel beim Dagegen-Treten abbricht.
Heute sind Computer die leisen Softies. Keine richtigen Männer mehr, die beim Arbeiten Lärm und Luft ablassen. Heißen Net- und Ultrabooks, alles Cola-Light. Vom Flachmann zum Flachbauch, aber bitte Touchpad anstelle von Waschbrett.

Und genau da liegt das Problem bzw. darunter liegen die Eingeweide. Das sind mechanische Teile, die sich im Falle von Festplatten auch noch bewegen, mit immens kleinem Abstand der Schreib-Leseköpfe zur Magnetscheibe. Bei der ungeduldigen Dame ist es dann zum (Head?)-Crash gekommen.

testdisk

Wir wollen aber nicht über Opfer- und Täterrolle (oder sowas wie Backups) philosophieren. Das Laptop geht noch an, meldet sich sich ohne BIOS-Warntöne, verharrt aber in der Bootsequenz. Anscheinden wird nicht der MBR geladen, geschweige ein Kernel, der auf die aktive Partition zugreifen würde.

Was ist in so einem Fall zu tun? Erstmal: Nichts, vor allem nicht nicht dauernd an- und ausschalten, um zu sehen, ob es nicht bei x-ten Mal doch funktioniert. Besser wäre es, das verwundete Stück zu entnehmen. Wer seine Festplatte korrekt ausbauen will, muss dazu aus antistatischen Gründen zwar nicht mehr unbedingt mit den Füßen auf die Gummimatte und den Händen an die (Fußboden)heizung, sollte aber als erstes das Netzteil abziehen und danach noch den Akku entfernen. Anschließend 20 Sekunden den Einschaltknopf drücken, um eine Entladung des Laptops zu erreichen. Daraufhin die Schräubchen auf der Unterseite und von der Plattenhalterung lösen und diese mit leichter Hebelwirkung herausdrücken.

Sind äußerlich keine Verletzungen („braune Flecken“ o.ä.) zu erkennen, so lohnt ein kurzer Funktionstest, bevor schon die ersten Wucherpreise der Datenretter gegeneinander aufgegoogelt werden. Dazu die extrahierte Platte an einen USB-SATA/IDE-Controller anschließen und auf einem nicht-metallischen oder aufladbaren Untergrund abstellen. Ans andere Verbindungsende des USB-Kabels würde ich wegen der Spannung eher einen klassischen PC als ein anderes Laptop hängen. Dort möglichst auch die hinteren Buchsen direkt auf dem Mainboard benutzen und nicht die Anschlüsse auf der Vorderseite des Rechners. Steht als Host nur ein Laptop zur Verfügung, so kann ein sog. Y-Kabel helfen, wenn die Platte über den USB-Port nicht ausreichend Anlaufstrom erhält. Aber richtig schön ist das nicht.

Bevor sie jetzt munter stöpseln, noch ein Hinweis: Die Betriebssysteme wollen es dem Anwender ja möglichst einfach machen und versuchen, das neu entdeckte USB-Gerät der Klasse „Massenspeicher“ sofort als neuen Datenspeicherort einzubinden. Das ist auch nicht richtig schön, genauso wenig, wie unserem angeschlagenem Dauerläufer nach Möglichkeit eine andere Signatur zu verpassen. Betriebssysteme wie bsp. Linux können auch ohne Automatik klar kommen und angesteckte USB-Gräte lassen sich bei Bedarf mit „mount -ro“ im schreibgeschützten Modus ins Verzeichnis einhängen.

Zuvor ist jedoch Ohr anzulegen. Wie reagiert die Platte auf Strom? Summt sie sofort los oder gibt es Anlaufschwierigkeiten? Bitte nicht klopfen oder Daten-rausschütteln! Läuft der Motor anschließend rund, oder stottert das Gerät? Wer sich da unsicher ist, sollte als ersten Schritt den kompletten Inhalt auf ein anderes Laufwerk kopieren. Moment,wie soll das gehen, wenn ich gar nicht auf die Daten zugreifen kann?

Ganz einfach: Sie benutzen ein Tool, das sektor-orientiert arbeitet und sich somit gar nicht um die eigentlichen Daten kümmert. Hier wird sozusagen blind und wahllos Inhalt dupliziert. Dabei kann es (bei unserer Dame: wird es) zum Stocken kommen. Der Grund sind sog. fehlerhafte Sektoren. Die gibt es eigentlich auf jeder Festplatte und die immer größere Kapazität bei gleichem Formfaktor macht fehlerhafte Sektoren nicht gerade unwahrscheinlicher. Zwar kann das BIOS diese Fehler per Smart auslesen und bei kritischer Anzahl ans Betriebssystem weitergeben (seit Windows 95), aber zu viele kaputte,meist benachbarte Sektoren schaffen es – wie in unserem Fall – nicht mal mehr als rote Ausrufezeichen ins Ereignisprotokoll.

Gute sektororientierte Programme wie ddrescue o.ä. schreiben beim Kopieren statt der nicht mehr vorhanden Einträge einfach Nullen ins Ziel. Und hängen vor allem nicht ewig auf den kaputten Dingern rum.
Hat sich der Datenberg dann endlich auf der Hilfsplatte eingefunden,so arbeiten Sie damit. Die kaputte Platte kommt in den Schrank, falls man doch ins Datenrettungs-Canossa muss. Versuchen Sie als erstes, mit bsp. testdisk oder Partition Lost and Found die Überreste der Partitionstabelle zu analysieren bzw. wiederherzustellen. Hier wird oft zur Vorsicht geraten, aber das Übel fehlerhafter Einträge kann durch Neuschreiben ohne Datenverlust relativ gefahrlos korrigiert werden (Bitte nicht als Freifahrtschein verstehen). Meistens stimmen jedoch die Einträge in den FAT, NTFS, ETX o.ä, nicht mehr exakt mit den eigentlichen Daten im Dateisystem überein. Daten sind nämlich oft verstreut (u.a. weil sich Festplatten drehen) und liegen nicht am Stück rum (Fragmentierung). Übrigens hat man entgegen anderslautender mythischer Überlieferung beim alten FAT-System viel weniger Chancen auf Wiederherstellung fragmentierter Daten als beim seit Windows 2000 standardmäßig eingesetzen NTFS, weil dort die zugeordneten Inhalte direkt im Verzeichniseintrag stehen.

Wir konnten mit dem Kopier- und Korrigierverfahren das meiste an Daten retten, wobei es bei deutliche Unterschiede gab: Während testdisk nur ca. 5000 Dateien im Benutzerornder wiederherstellte, kam Easus Partition Master auf derer 12000. Wohlgemerkt: Beide arbeiten auf derselben, noch intakten MasterFileTable (MTF).

Ist auch die kaputt, dann haben Sie … dann wird’s schwierig. Kann man das Rettungstool wenigstens einigermaßen überzeigen, mit was für einem Dateisystem gearbeitet werden soll, können sich evt. doch zufriedenstellende Resultate ergeben. Tools wie Recuva oder Photorec versuchen bsp., einzelne Dateien basierend auf ihrer Signatur (steht im Header) wiederherzustellen. Die richtigen Dateinamen müssen Sie sich natürlich denken, die kann das Programm ja nicht kennen. Deshalb versuchen die besseren ihrer Zunft, den Dateinamen aus Metainformationen (ID3-Tags in mp3, die exif-Daten der Kamera, die die Bilder geschossen hat usw. zu erzeugen).

Wie auch immer: Schmeißen Sie nicht sofort die Flinte ins Korn bzw. das Laptop an die Wand. Fragen Sie zunächst den Bastler Ihres Vertrauens 🙂